Forlaget Columbus

Tyskland - fra Rødhætte til Rammstein

Tekst 13: Meyer, Strahlen

 
»Kennst du auch Filme, Danie? Richtige Pornofilme.« Klar. Hab ich alles schon gesehen.« Der große Bruder von Karsten guckte manchmal mit seinen Kumpels Pornos, er kannte jemanden, der in einer Videothek arbeitete, aber sie hatten mich nie mitgucken lassen. »Bist zu jung«, hatten sie zu mir gesagt. Karsten hatte mir mal erzählt, dass sie sich dabei einen runterholten und dass es ihnen ganz egal war, wenn die anderen dabei zuguckten. »Bumsen die da richtig?«
»Klar. Da geht's voll zur Sache.« Wir rückten näher zusammen und blätterten in den Heften. »Guck dir mal die Riesentitten an«, sagte ich und zeigte ihm eine Blonde, die in einer Art Planschbecken saß und einen roten Ball an ihren Bauch presste. »Nee, sind mir zu groß.« 
»Wieso zu groß?«
»Na ja, ich find das nicht so schön. Daniela hat auch nicht so große, die gefällt mir, weißt du ja.« »Die ist ja auch erst vierzehn, Mensch.«
»Na und, ich doch auch«, sagte er, obwohl er noch dreizehn war. Ich blätterte mein Heft durch, dann gab ich es Mark, und er reichte mir seins.
»Guck mal«, sagte ich, »die steckt sich die halbe Hand rein.«
»Hab ich schon gesehen.« 
»Mann, wie das glänzt.«

Wir blätterten die Pornohefte immer wieder durch. Es lagen auch noch jede Menge Praline und Das neue Wochenend-Hefte auf dem Boden, die waren viel billiger als die Pornos, nur eins fünfzig, dafür zeigten die Frauen nicht so viel, aber es reichte immer noch. Ich nahm eine Praline und blätterte drin rum. »Die sind auch nicht schlecht«, sagte Mark, »sind auch gute Geschichten drin, übers Bumsen und so.«
»Stimmt«, sage ich, »kriegste aber auch erst ab sechzehn.« »Hast's schon mal versucht?«
»Klar, bei Rudis Schreibwaren die wollten's mir aber nicht verkaufen.«
»Die musst du klauen, Danie. Zack unters Hemd.«
»Hast du schon mal eine geklaut?« Ich legte meine Praline weg und blickte ihn an.
»Hab ich«, sagte er, »einmal. Bei Rudis Schreibwaren Rudi ist alt, der merkt's nicht.«
»Glaub ich nicht, warum hast'n die mir nie gezeigt, wo is'n die?« 
»Die ... die hab ich schon längst weggeschmissen. Die war ... die war dann total zerlesen, Danie.« Er grinste.
»Und wie hast'n das gemacht, mit dem Klauen, mein ich. Haste denn keine Angst gehabt?« 
»Nee, Danie, nee, Angst is nicht. Musst nur richtig schnell sein. Na ja, 'n kleines bisschen vielleicht. Aber du, die haben ja alle drüber erzählt, von den Sexheftchen, weißt du ja. Und da wollt ich eben auch eins haben. Aber jetzt«, er lachte und strich über das glänzende Papier der Hefte, »jetzt brauch ich keine mehr zu klauen, jetzt hab ich ja genug!«
Ich stand auf. »Du, Mark, ich will dann wieder nach Hause, weil ... gibt nachher Essen ...«
»Nun warte doch, Danie, jetzt warte noch, jetzt renn doch nicht gleich weg. Du kannst hier was essen. Wir machen Pizza, Danie, in meiner Mikrowelle.«
»Aber du hast doch keine Pizza.«
»Haste noch bisschen Zeit, Danie?« 
»Na ja ...«
»Haste nun Zeit?« 
»'n bisschen schon noch.«
»Na siehste, Danie. Wir gehen in die Kaufhalle und holen uns Pizza.«
»Haste denn Geld? Ich hab nur noch 'ne Mark und 'n bisschen.« 

Er räumte die Hefte zusammen und legte sie wieder in die Schublade.  »Wir brauchen  kein  Geld,  Danie.  Deine Mark reicht.  Du machst doch mit, du bist doch dabei, oder haste Schiss?« 
»Nee. Hab kein Schiss. Weißte doch. Klar komm ich mit.«
»Prima, Danie.« Er grinste und ging zur Tür. Ich sah, dass er noch einen Ständer hatte. Ich lief ihm hinterher in den Flur und zog schnell meine Jacke an, weil ich auch einen Ständer hatte, und der ging nicht mehr weg.
»Dein Schulranzen, Danie, nimm mal deinen Schulranzen mit.«
»Wieso'n das?«
»Wirst schon sehen. Und tu paar Bücher raus.«

Ich nahm meinen Schulranzen. Ich hatte die Ledergurte vor ein paar Tagen abgeschnitten und trug ihn jetzt wie eine Aktentasche, die meisten in der Klasse machten das so. Ich nahm das Biologiebuch und das Mathebuch, die waren am dicksten, und legte sie nebens Telefon. Dann liefen wir die Treppe runter, und dann hinten über den Hof, das ging schneller, vor zur Kaufhalle an der Straßenbahnhaltestelle.

Ich nahm mein Markstück und ging zu den Wagen. »Warte, Danie, die brauchen wir noch.« Mark holte ein kleines rundes Stück Pappe aus seiner Hosentasche und steckte es in den Geldschlitz am Wagengriff. »Hab ich in Zeichnen gebastelt. Hab meiner Mutter auch eins geschenkt. Musst du die Pappe aber doppelt kleben, sonst ist's zu dünn.« Ich stellte meinen Ranzen in den Wagen. Wir gingen rein. Mark schob den Wagen. »Los«, sagte er, »wir holen erst mal 'ne Limo, die billigste.« Ich nahm zwei Dosen für je neunundvierzig Pfennig und legte sie in den Wagen. »Wie viel hast'n jetzt noch?« Ich rechnete. »Fünfunddreißig Pfennig.« Mark suchte in seinen Taschen und holte einen Groschen raus. »Fünfundvierzig«, sagte er, »das reicht noch für zwei große Brötchen, Tarnung, verstehste, damit's nachher nicht so auffällt.« Wir gingen zu dem Glaskasten mit den Brötchen drin, und Mark holte zwei raus. Er benutzte sogar die angekettete Metallzange. »Und unsere Pizza?«, flüsterte ich. »Jetzt gehen wir langsam zur Kühltruhe«, sagte er. Wir stützten uns unauffällig auf den Griff unseres Wagens. Ich blickte mich immer wieder um, die Kaufhalle war ziemlich voll, denn um die Zeit kamen viele Leute von der Arbeit.


Wir fuhren durch den Schnapsgang, hier war ein Riesengedränge, und Mark fuhr einem alten Mann über den Schuh. Aber den schien das nicht zu stören, denn er hatte den Wagen voller Flaschen und stank so, als würde er im Schnapsgang wohnen, und dann rief er doch noch, als wir schon längst an ihm vorbei waren: »Passt doch auf, ihr Rotzer!« Bestimmt brauchte der Schmerz eine Weile, um in meinem versoffenen Kopf anzukommen. »Penner«, sagte Mark. »Säufer«, flüsterte ich.

Wir standen vor der Tiefkühltruhe mit den Pizzas, Mark wühlte schon drin rum. »Du«, flüsterte ich, »da muss doch was draufstehen, dass es für die Mikrowelle ist, mein ich, dass es auch funktioniert, Hab ich gehört.«

Quatsch. In der Mikrowelle geht alles. Da kannst du alles warm nachen und aufbacken. Wegen der Strahlen, hab ich dir doch erzählt.« Er nahm eine Pizza. »Nee«, sagte ich, »Steinofen, wer weiß, was das ist. Schmeckt bestimmt nicht.« Er legte sie zurück und nahm eine andere. »Einmal Salami. Und was willst du?«
»Pizza Spezial«, sagte ich und nahm einen Karton aus der Tiefkühltruhe.
»Bisschen klein, meine ist größer.«
»Na und«, sagte ich und legte den Karton in den Wagen, »is nicht so wichtig, dafür vom Allerfeinsten.« Mark blickte sich um. »In den Seitengang«, flüsterte er, »in den Waschmittelgang, und mach schon mal den Ranzen auf.« Wir schoben den Wagen langsam in den Waschmittelgang, hier war es leer. Ich öffnete den Verschluss meines Ranzens. »Warte«, sagte Mark, »da ist schon wieder der Alte.« Der Alte schob seinen Wagen an uns vorbei, grinste uns blöd an, dann stellte er eine Drei-Kilo-Packung »Persil« neben seine Schnapsflaschen. Er grinste wieder blöd zu uns rüber, steckte sein Hemd vorne in die Hose, dass seine Hand verschwand, und es sah aus, als würde er sich am Sack kratzen. Wir blickten in unseren Wagen und schoben ihn von ihm weg. »Dreckschwein«, sagte ich, »so ein altes Dreckschwein.« »Ist bestimmt so 'n perverser Pimmelzeiger. Vor denen musste aufpassen, Danie, die locken dich nach Hause und fummeln dich kaputt.« Mark machte meinen Ranzen auf und stopfte die Salamipizza zwischen die Bücher und Hefte. Ich griff nach meiner Pizza Spezial, sie war ganz kalt und klebte an meiner Hand. Mark war um den Wagen gelaufen und stellte sich vor mich, ich stopfte und drückte, aber der Karton wollte nicht in meinen Ranzen rein. »Mensch, Danie, da kommen welche!« Ich riss mein Hemd aus der Hose und schob die Pizza drunter. Zwei Frauen gingen an uns vorbei, ich machte meine Jacke zu. »Mensch, Danie«, flüsterte Mark, »bist doch verrückt, hättste mal mehr Bücher rausgenommen, ich hab's dir doch ...« »Jetzt hast du wohl Schiss, oder was?«

»Vergiss es, Danie, ich hab keinen Schiss, nee, is nicht.« Mein Ranzen war noch offen, und er machte ihn wieder zu. Wir schoben den Wagen vor zur Kasse. Nur eine der drei Kassen war geöffnet, und wir stellten uns ans Ende der Schlange. Ich nahm meinen Ranzen aus dem Wagen. »So ist's besser«, sagte Mark, »so fällt's nicht so auf.« Es ging nur langsam vorwärts. Jemand berührte meine Schulter, und ich drehte mich um. Der Alte stand hinter uns. »Hab euch genau gesehen«, flüsterte er. Er stank so nach Schnaps, dass ich kaum atmen konnte, und seine Augen glänzten. »Keine Angst, Jungs, ich verpetz euch nicht ...« Meine Hand umklammerte den Wagengriff, und er berührte sie. Ich spürte die Pizza ganz kalt auf meinem Bauch. »Eins achtunddreißig.« Wir standen an der Kasse. Mark legte die Brötchen und die Limodosen zurück in den Wagen. Ich drehte mich um. Die Nachbarkasse hatte aufgemacht, und da stand jetzt auch der Alte. Hinter mir war eine schwarzhaarige Frau, ihre Brüste bewegten sich langsam auf mich zu, und als ich ein paar Schritte zurückstolperte und gegen unseren Wagen stieß, lächelte sie mich an. Sie trug enge Jeans, und ich blickte auf das Dreieck unter ihrem Gürtel und dann wieder in ihr Lächeln, das vielleicht doch keins war, auf das Dreieck und das Lächeln ... »Eins achtunddreißig!« Die Pizza an meinem Bauch war so kalt, dass ich keinen Ständer kriegen konnte, nie mehr, und ich griff in meine Hosentasche und suchte mein Geld. Ich zählte die Münzen auf die Handfläche der Kassiererin, sie nickte, klimperte sie in die Kasse und gab mir ein Zweipfennigstück raus. »Wiedersehen«, sagte ich und schob den Wagen mit einer Hand Richtung Ausgang, in der anderen hielt ich meinen Schulranzen. Mark lief neben mir.

»Mensch«, sagte er, als wir den Wagen wegschafften, »was war'n mit dir los? Die hat schon ganz komisch geguckt.« 
»Weiß auch nicht, war doch das erste Mal.«
»Wir sind richtige Profis«, sagte Mark und grinste. Er zog das runde Stück Pappe aus dem Schlitz, dann liefen wir zurück in unsere Straße. Als ich die Kaufhalle nicht mehr sehen konnte, blieb ich stehen, machte meine Jacke auf und zog die Pizza unterm Hemd vor. Auf meinem Unterhemd war ein nasser Fleck.
Die Pizza war weich, und wir konnten sie nicht richtig schneiden. Wir hatten sie über zwanzig Minuten in der Mikrowelle gelassen, aber es hatte nichts gebracht. Wir aßen sie trotzdem. Wir legten sie in eine große Schüssel und aßen sie mit Löffeln. »Aber wie sie sich gedreht hat«, sagte ich, »und das Licht auf sie draufschien, mit den Strahlen drin ...«
Mark lächelte. »So schlecht schmeckt's doch gar nicht, Danie. Bestimmt hab ich was falsch eingestellt. Is eben alles neu.«
»Klar«, sagte ich, »is gar nicht so schlecht. Is mal was anderes. Aber du, die andere Pizza tun wir in den Backofen.«
»Ja, is besser, Danie. Und dann gucken wir uns nochmal die Hefte an. Hab ich dir schon das eine Girl des Monats gezeigt, die Dunkle, die ist am besten.«
»Ja«, sagte ich, »die Hefte.«

Clemens Meyer, Als wir träumten, 2007

 

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