Tekst 11: Rolf Ulrich, Mauer-Song
Ach, wie war es doch vordem
mit der Mauer so bequem.
DDR war »sogenannte«,
und man sah auch nicht die Tante,
Onkel, Schwager all die Lieben,
die zum Glücke lebten drüben.
Und da sollten sie auch bleiben,
uns genügte hier das Schreiben.
Ach, wie war es doch vordem
mit der Mauer so bequem.
Sensationen gab's in Fülle,
wenn ein Schuß durchbrach die Stille;
wenn ein Vopo, Grenzsoldat
überwandt den Stacheldraht;
wenn zur Braut der Bräutigam
nächtens durch die Elbe schwamm.
Oder morgens, wenn am Stadtrand
ein Agentaustausch stattfand.
Ach, wie war es doch vordem
mit der Mauer so bequem.
Ganz Europa ist in Trauer
über den Verlust der Mauer.
Wenn die Deutschen ein Verein,
dann bestimmen sie allein.
Nato-Pläne nicht mehr stimmen,
die EG gerät ins Schwimmen,
und zu allen Nachbarländern
wird sich die Beziehung ändern.
Und vielleicht nach hundert Tagen
wird sich auch der Osten sagen:
Werden wir nicht korrumpiert
und von Bonn nur angeschmiert.
Ach, wie war es doch vordem
mit der Mauer mit der Mauer
zwar beschissen - doch bequem!
Alles sollte ganz anders werden, Die Stachelschweine, 40 jahre Kabarett,
Frankfurt/M, 1990