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Tekst 12: Meyer: Als wir träumten


Als Mark mir auf dem Nachhauseweg von der Schule von der Mikrowelle seiner Eltern erzählte, tat ich so, als wäre mir das ganz egal, denn wir hatten keine. Die große Wende war eben erst vorbei, und die Wenigsten in unserer Klasse oder im Viertel hatten schon eine Mikrowelle zu Hause.

»Na und«, sagte ich, »was soll denn da schon dran sein, an so 'nem Ding.«
»Mensch, Danie, horste mir nicht zu, da legste was rein, was zu essen, sogar Suppe, und in paar Minuten is das fertig.« »Also wie 'n ganz normaler Backofen.«
»Nee, Mensch, nicht wie 'n Backofen. Suppe geht nicht im Backofen. Viel kleiner, und außerdem viel, viel schneller. Das funktioniert mit Strahlung!«
»Radioaktiv, oder was?«
»Du bist doch bloß neidisch, weil ihr keine habt!« Er blieb stehen und stellte sich vor mich.
»Vergiss es, von wegen neidisch!« Ich schob ihn zur Seite. »Meine Mutter kauft nämlich auch bald so 'n Ding. Von Grundig, das sind die Besten!«
»Blödsinn, die von Siemens sind am besten. Kosten auch am meisten!« »Ich hab 'n Taschenrechner von Siemens«, sagte ich, »die machen wirklich gute Taschenrechner, aber Mikrowellen ...« Der Taschenrechner war nur ein Werbegeschenk, ich hatte ihn am Siemensstand auf der Messe bekommen, als ich mit Rico dort gewesen war, er hatte auch nur ganz wenig Tasten, nicht mal mit negativen Zahlen konnte man rechnen, aber das erzählte ich Mark nicht. »Komm doch mit zu mir«, sagte er, »dann zeig ich dir mal, wie spitze die ist.«
»Was, jetzt gleich?«
»Klar.«

»Und deine Eltern?«
»Sind doch auf Arbeit. Aber du, die Mikrowelle, so was hast du
noch nie gesehen!« 
»Klar, auf der Messe.« 
»Das ist doch was anderes.«
»Sag mal, hat dein Vater wieder die Hefte gekauft?« 
»Klar, drei neue. Komm ich jederzeit ran.« -Und is deine Schwester da?«
»Willst wohl wieder an ihre Unterhosen, was? Nee, is nicht da.«
»O.k.«, sagte ich schnell und drehte mich weg, weil ich rot wurde, weil ich an die kleinen Unterhosen seiner Schwester dachte, »gehen wir zu dir. Aber nur wegen den Heften, deine blöde Mikrowelle ist mir nämlich echt egal.«
»Das sagst du jetzt. Aber wenn wir erst mal was essen, das schmeckt auch viel besser, weil die Strahlen, verstehst du, die gehen viel besser durch ...« Er war schon losgelaufen, quatschte einfach weiter, und ich lief ihm hinterher.
Das Gehäuse der Mikrowelle war ganz weiß, mit einem »Siemens«-Schriftzug vorne drauf, und durch die dunkel getönte Scheibe der Tür konnte man hineingucken. Das Ding sah aus wie ein kleiner Fernseher, es stand auf einem Tisch neben dem Herd, und oben drauf stand eine kleine Vase mit Trockenblumen.

»Ich dachte, das ist viel kleiner.«
»Na ja, jetzt sieht's wirklich bisschen groß aus ... aber da muss ja auch das Essen reinpassen, verstehste, das darf ja gar nicht kleiner sein, da muss ja auch Pizza reinpassen, oder 'n Huhn.«
Ich zog an der Tür, aber sie ging nicht auf.
»Nicht so doll, Danie, da musst du hier drücken, der Knopf hier.«
Er drückte auf einen viereckigen Knopf, und die Tür sprang auf. »So geht das, nicht alles mit Gewalt, du machst es bloß noch kaputt!«
»Jetzt piss dir nicht gleich ein, Mark.«
Drinnen lag ein runder, flacher Glasteller, ich drehte ihn, ich zog dran und hielt ihn in der Hand. »Du, jetzt isser ab ...« Mark lachte.
»Den kann man rausnehmen, und hier steckst'n wieder rein. Ich denke, du kennst dich aus?«
»Ja klar, aber die sind doch alle verschieden, da gibt's doch tausend Firmen.«
»Ja, aber Siemens, das sind echt die Besten. Guck mal hier!« Er schob mich zur Seite, drückte die Tür zu, drehte an einem Schalter mit einer Skala rum, innen ging Licht an, die Mirowelle brummte, und ich spürte, dass Luft rauskam. Mark fummelte an dem Schalter rum, eine Glocke läutete einmal, und die Tür öffnete sich wieder. Mark legte seine Hand oben auf die Mikrowelle. »Da staunste, was? Das geht alles automatisch, kannst du alles einstellen. Wenn dein Essen fertig ist, kommt der Gong, damit du Bescheid weißt, verstehste ... und die Tür, kannst du alles einstellen.« »Und deine Strahlen, wo sind denn deine Strahlen?«  

»Da, da kommen die raus.« Er griff in die Mikrowelle. Links und rechts neben dem Glasteller waren zwei Gitter in der Wand, und dahinter sah ich zwei Lampen. »Was, aus den Birnen da soll das rauskommen?« »Pass mal auf.« Er machte die Tür wieder zu und drückte auf ein paar Knöpfe und drehte an dem Schalter. Die Mikrowelle begann zu brummen, der Glasteller drehte sich, und wieder leuchtete das seltsame Licht, diesmal sah ich's mir genauer an. »Und in dem Licht«, sagte Mark, »sind die 


Strahlen drin.« Meine Stirn berührte fast die Tür. »Die siehst du nicht, Danie, die gehen durchs ganze Essen durch.« Er drehte an dem Schalter, der Gong ertönte, aber die Tür blieb geschlossen. »Stell doch mal was rein.« Er ging zum Kühlschrank und machte ihn auf. »Nee, Danie, is nichts da, meine Mutter war noch nicht einkaufen. Aber du, ich kann ja mal 'n Stück Brot reinlegen.« 

»Brot! Haste nichts Richtiges?«
»Jetzt mecker doch nicht rum, du bist doch nicht zum Fressen hier. Ich will's dir doch bloß mal zeigen!« Er holte einen Laib Brot aus dem Schrank, ging zum Küchentisch und schnitt zwei Scheiben ab. Er legte sie auf den Glasteller der Mikrowelle und stellte den Schalter an der Skala auf drei Minuten. »Das wird dann so richtig braun und knusprig, viel besser als im Backofen.« Wir nahmen uns zwei Stühle, setzten uns vor die Mikrowelle und beobachteten, wie sich die Brote auf dem Teller drehten.

»Ich seh nichts«, sagte ich, »da muss doch schon was zu sehen sein, dass das bisschen braun wird oder so.«
»Jetzt warte doch noch die Minute.«
»Du, sag mal, die Hefte, du wolltest doch noch die Hefte holen.«
»Ja, ja. Aber jetzt guck doch erst mal hier!« 
»Ist doch Mist, ich dachte, wir könnten 'ne Pizza essen oder so.«
»Kann ich doch nichts dafür, Danie. Meine Mutter hat nicht eingekauft, die wollte eigentlich ...« Ding! Die Glocke läutete genau einmal, der Teller hörte auf sich zu drehen, und das Licht ging aus. Mark öffnete die Tür. Die Brote sahen noch genauso aus wie vorher. Er nahm eins raus, ließ es dann aber fallen. »Mist, knüppelheiß!« Die Schnitte lag auf dem Boden, und ich hob sie vorsichtig auf. »Total weich«, sagte ich, »und bisschen feucht. Von wegen knusprig wie 'n Toast.« Mark nahm ein Geschirrtuch und zog den Glasteller aus der Mikrowelle. Er drückte mit dem Zeigefinger auf der anderen Schnitte rum. »Weiß auch nicht, Danie, is wirklich bisschen weich geworden. Hab bestimmt was falsch eingestellt. Guck mal, hier kann man doch die Leistung einstellen, hab ich bestimmt viel zu niedrig ...«
»Ich denk, du bist der große Experte, Mensch. Nur 'n weiches Brot, und dafür holste mich her.«
»Ach Mensch, Danie, ich hab halt was falsch eingestellt, kann doch mal passieren. Wir haben die doch erst seit zwei Tagen, da kann in doch noch nicht alles wissen.«
»Die Hefte«, sagte ich und aß ein ganz kleines Stück von dem Brot, »Du wolltest mir doch die Hefte zeigen.«
Mark brach auch ein Stück von seinem Brot ab und kaute langen drauf rum. »Siehste, schmeckt doch gar nicht so schlecht, Danie. Die Strahlen, die gehen da voll durch ... komm mit!«

Er ging ins Schlafzimmer seiner Eltern, und ich lief ihm hinterher. Er blieb vor einer kleinen Kommode stehen und zog ein Schubfachauf. Da war ein Stapel Zeitungen, aber keine nackten Frauen, . »Fußballwoche«.   »Guck  mal  hier,   Danie,   die   sind   auch   nicht schlecht.« Er zog eine Zeitung aus dem Stapel raus. »BFC Dynamo wieder Meister« stand auf dem Titelblatt. »Berlin-Schweine«, sagte ich, »ob da auch was von Chemie drinsteht?« Er gab mir das Heft, und ich blätterte drin rum. Dann legte ich es wieder zu den anderen. »Nachher«, sagte ich, »erst mal die Mädchen.« »Klar«, sagte er, »ist alles unterm Fußball.« Er räumte die »Fußballwoche« aus der Schublade, und da waren sie, zwei kleine Stapel nebeneinander, und schon auf den beiden Titelblättern waren Frauen drauf, die uns alles zeigten. »Ja«, sagte ich, »die sind schön.« »Die Besten liegen oben«, sagte Mark, »Praline ist aber auch dabei.« »Praline ist auch nicht schlecht.« Ich nahm mir einen Stapel, den anderen hatte Mark. Wir setzten uns auf den Teppich. Ich strich über die Brüste der Titelblattfrau, das Papier war ganz glatt und glänzte. »Die sind ab achtzehn«, sagte Mark, »die hat mein Vater aus dem Sexshop vorne an der Mühlstraße.«

»Den kenn ich«, sagte ich. Und ich kannte ihn gut, früher war es ein Spielzeugladen gewesen, der Verkäufer war noch derselbe, nur dass er jetzt anderes Spielzeug verkaufte, und ich stand dort oft nach der Schule vor der Schaufensterscheibe und schaute mir die Zeitschriften und Videos an. Dort hingen auch BHs und andere durchsichtige Wäsche und sogar Gummimädchen, und einmal hatte ich eine Peitsche gesehen, die war aber schnell wieder weg gewesen, wahrscheinlich hatte sie irgendein Trinker aus dem Viertel gekauft, der seine Frau verprügeln wollte. Vielleicht war seine Frau dann abgehauen, und er hatte sich eins von den Gummimädchen besorgt.

 »Guck dir mal die hier!« Mark hielt mir eine Frau vors Gesicht, die war bestimmt Sportlerin, so weit hatte sie ihre Beine auseinander. »Hast du gewusst, dass die so rosa sind, is ja Wahnsinn, guck dir die Muschi an, Mann, ist das schön!«
»Na klar«, sagte ich und griff nach dem Heft und hielt es ganz fest, »kenn ich doch. Solche Hefte hab ich schon paar Mal gesehen.« 

Clemens Meyer, Als wir träumten, 2007

 

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