Tekst 18: Rosemarie Ackermann - "Wie im Rausch"
Montreal-Olympiasiegerin Rosemarie Ackermann eröffnete dem Frauen-Hochsprung beim Internationalen Stadionfest (ISTAF) am 26. August 1977 in Berlin neue Sphären, als sie als erste Springerin 2,00 Meter überwand. Es war ein Doppel-Weltrekord, denn zuvor hatte die Leichtathletin schon mit 1,97 Metern ihre erste wenige Tage alte, in Rom (Italien) erzielte Bestmarke eingestellt.
Dabei war die in Lohsa in Sachsen geborene DDR-Sportlerin die letzte Hochspringerin von Weltklasse, die den sogenannten Straddle sprang. Alle anderen floppten bereits nach dem Vorbild von Dick Fosbury über die Latte.
Im Interview erinnert sich die jetzt 55-Jährige an jenen Sommertag vor 30 Jahren, an die Reaktion in der DDR auf ihren Rekordsprung und an den "Koffer" voller Prämiengeld, den sie jedoch nicht annehmen durfte.
"Als ich auf der Matte landete, habe ich die Hände vor dem Gesicht zusammen geschlagen, weil ich die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Das Gefühl war überwältigend. Es war wie im Rausch. Die herumstehenden Reporter stürmten direkt auf mich zu. Ich habe dann die Flucht nach vorne ergriffen und bin jubelnd durchs halbe Stadion gelaufen", erzählt Rosemarie Ackermann, die am Sonntag (16. September) zum 70. Geburtstag des DKB-ISTAF auf Einladung der Veranstalter ins Olympiastadion zurückkehrt.
Frau Ackermann, es ist etwas mehr als 30 Jahre her, dass Sie als erste Hochspringerin die damals magischen zwei Meter überquert haben. Welche Erinnerungen haben Sie heute an den 26. August 1977?
Rosemarie Ackermann:
Das ist ein Tag, den ich nie vergesse. Meine Erinnerungen sind taufrisch, als wäre alles gestern passiert. Wir waren in Kienbaum im Trainingslager in Vorbereitung auf den ersten Weltcup in Düsseldorf. Das ISTAF sollte ein Aufbauwettkampf sein. Ich bin erst am Nachmittag mit zwei anderen DDR-Athleten über die Grenze nach West-Berlin gefahren. Dort bin ich mit zwei Rosen empfangen worden und man hat mir die Startnummer 20 gegeben. Das war ja schon ein Hinweis darauf, was man sich von meinem Start erträumte. Wenn ich heute das Olympiastadion betrete, brauche ich immer ein paar Minuten, um mich zu sammeln, denn dann läuft sofort der Film des Sprungs vor meinem inneren Auge ab. ()
Wie hat man in der Heimat auf Ihren Rekordsprung reagiert? Schließlich hatten Sie als DDR-Springerin im kapitalistischen Ausland eine Schallmauer durchbrochen.
Rosemarie Ackermann:
Die DDR-Presse ist davon offensichtlich total überrascht worden. Die Aktuelle Kamera' meldete es zwar am Abend, doch die Bilder gab es erst später, weil sie erst eingekauft werden mussten. Ein DDR-Kamerateam war ja nicht mit beim ISTAF. Ich bin in dem Jahr dann DDR-Sportlerin des Jahres' und Weltsportlerin des Jahres' geworden.
Nun gab es auch schon damals Geld für Weltrekorde. Was ist aus Ihrer Prämie geworden, es sollen 10.000 D-Mark gewesen sein?
Rosemarie Ackermann:
Nach dem ISTAF kam jemand und wollte mir einen Koffer voller Geld übergeben. Doch ich durfte ihn nicht annehmen. Behalten durfte ich lediglich eine Brosche, die es bei der Siegerehrung gab und die von einem Sponsor zur Verfügung gestellt worden war. Auch den Tagessatz von 10 D-Mark durfte ich behalten. Zu Hause gab es dann eine Rekordprämie von 1.500 DDR-Mark.
Bedauern Sie eigentlich manchmal, dass Sie nicht in der heutigen Zeit aktiv sein konnten, in der man als Spitzensportlerin viel Geld verdienen kann?
Rosemarie Ackermann:
Nein. Damals war einfach eine andere Zeit und ich respektiere das. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Hätte, wenn und aber gibt es nicht. Ich möchte keinen Tag missen. ()
Heute ist bekannt, dass es in der DDR-Staatsdoping gab. Wie ist das zu Ihrer Zeit gewesen. Mussten Sie Dopingmittel nehmen?
Rosemarie Ackermann:
Ich kann sagen, dass ich nie wissentlich gedopt habe. Ich bin bei internationalen Wettkämpfen sehr häufig zu Kontrollen ausgelost worden und bin nie positiv getestet worden.
Werden wir Sie denn den 70. Geburtstag des DKB-ISTAF am Sonntag im Stadion miterleben?
Rosemarie Ackermann:
Ja. Ich habe vor ein paar Tagen die Einladung angenommen und freue mich schon auf den Tag im Olympiastadion mit vielen schönen Erinnerungen.
Deutscher-Leichtatletik-Verband.de, Interview mit Rosemarie Ackermann am 13.9.07